R: Max Claessen B: Mirjam Benkner K: Ilka Meier D: Katrin Aissen E: Sara Wortmann, Vinzenz Türpe, Friedemann Eckert F: Olaf Malzahn
Suff, Sex und Seelenpein: Premiere von „Sickster“ im Theater Lübeck. Es wird viel gesoffen und geraucht. Es gibt Partys, Drogen und Sex. Thorsten, Magnus und Laura sind die Hauptfiguren in Thomas Melles 2011 erschienenem Roman „Sicksters“. Eine Bühnenfassung von Max Claessen hatte jetzt im Jungen Studio des Theaters Lübeck Premiere. Ein großer Teil des Raumes bildet die von Mirjam Benkner wenig möblierte Bühne: Zwei Zelte, eine gläserne Bank und ein Kühlschrank stehen dort. Der Kühlschrank ist gut gefüllt. Thorsten (Vincenz Türpe) bedient sich dort ausgiebig, bietet aber auch dem Publikum Bier an – alkoholfreies. Er selbst trinkt lieber Hochprozentiges. Eigentlich sind die drei Protagonisten privilegiert. Thorsten hat bei einem Mineralölkonzern eine Stelle mit Verantwortung, Magnus ist Journalist. Laura, Thorstens Freundin, hat mal Jura studiert. Aber alle drei sind auf ihre eigene Weise kaputt und kreisen um sich selbst.Auf über 300 Seiten kann sich der Roman ausführlich mit den Hauptfiguren beschäftigen und manchmal erahnen lassen, wie und warum sie wurden, wie sie sind. Die Bühnenfassung streift dies nur kurz. Einiges erfährt das Publikum, zum Beispiel, dass Thorsten und Magnus, inzwischen Kollegen in einem Unternehmen, sich aus ihrer Schulzeit kennen. Nun darf der Enddreißiger Thorsten den ein paar Jahre jüngeren Magnus (Friedemann Eckert) von oben herab behandeln. Der fügt sich bereitwillig in die Rolle des Unterlegenen: „Ich bin nicht wie ihr. Ich bin nur eine Worthure, die sich für Geld verkauft.“ 105 Minuten dauert das Stück, und Max Claessen, der es auch inszeniert hat, hat darin viel untergebracht. So viel, dass es manchmal schwerfällt zu folgen. Thorsten, der für die Präsentation der Waren in Tankstellen zuständig ist, lamentiert über die Dominanz der Tiefkühlpizzen – und breitet sein laszives Leben aus. Magnus scheint in einen Wahn zu versinken. Und Laura, die den Sexgeschichten ihres Freundes auf die Schliche kommt, glaubt, dass ihr Körper sie hasst. Nun will sie sich wieder ritzen. Nicht harmlos, sondern richtig heftig. Sie übersteht den Eingriff blutverschmiert.Dramen gibt es im Minutentakt. Popsongs und die fantasievollen Kostüme von Ilka Meier mindern die Schwere. Magnus trägt einen abgeschabten goldfarbenen Anzug und ein riesiges Ohr, das auf seinen Rücken geschnallt ist. Laura in ihrem roten Kleid wurden Flügel verliehen. Und bei Thorsten blinkt und glitzert es zumindest an der Naht der schwarzen Anzughose und am Texanerhut. Erlösung aus der Ausweglosigkeit ihres Lebens in der Leistungsgesellschaft aber gibt es nicht. Am Ende landen Magnus und Laura in der Psychiatrie. Hilfe scheinen sie auch dort nicht zu erwarten. Dieses Stück verlangt dem Publikum einiges ab. Vor allem dank der beeindruckenden schauspielerischen Leistung aber ist ein aufwühlender und erlebnisreicher Theaterabend gelungen. Vincenz Türpe muss vollen Einsatz zeigen in der Rolle des mal tanzenden, mal schreienden, mal sich verkriechenden vergnügungssüchtigen Machos Thorsten, der eigentlich ein armes Würstchen ist.Friedemann Eckert und Sara Wortmann stehen ihm in nichts nach und geben alles. Das Premierenpublikum spendet langen Applaus. (Lübecker Nachrichten)