R: Max Claessen B&K: Ilka Meier D: Carola Gerbert M: Janni Struzyk E: Katja Zinnsmeister, Laura Maria Hänsel, Jon Kare-Koppe, Philipp Mauritz.
„Mit „Jeeps“ wird die Bühne zum Schlachtfeld für Arbeitslose und Enterbte. Das Erbrecht wird zur Enteignungsmaschine – jedenfalls in der abstrusen Komödie „Jeeps“ von Nora Abdel-Maksoud am Hans-Otto-Theater in Potsdam. In der Folge bekommt es der Zuschauer mit Furien, spießigen Bürokraten und einem Robin Hood des Jobcenters zu tun. Und mit jeder Menge kuriosen Irrungen und Wirrungen.
Maude (Katja Zinsmeister) war einmal eine erfolgreiche Schriftstellerin. Doch sie hat zu viel gekifft, ihr Gehirn verwüstet. Sie kann ihre Gedanken nicht mehr sortieren, redet nur noch Unsinn und ist Stammgast im Jobcenter geworden. Von der Grundsicherung kann sie nicht leben und nicht sterben. Seit Sachbearbeiter Gabor (Philipp Mauritz), ein spießiger Bürokrat mit einem bizarren Hang zu teuren Geländewagen, ihr auch noch das Pfandgeld, das sie beim Sammeln von Flaschen ergattert, als selbständiges Einkommen berechnet und vom monatlichen Salär abzieht, schäumt sie vor Wut. Zur wilden Furie ist inzwischen auch Silke (Laura Maria Hänsel) mutiert, Start-up-Gründerin eines Online-Handels mit urig-bayrischen Computer-Taschen: Doch „Laptops in Lederhosen“ braucht dringend frisches Kapital, am besten wäre es, wenn Silke das Erbe ihrer Eltern versilbern könnte. Aber mit der neuen Erbrechts-Reform werden die Hinterlassenschaften aller Toten vom Staat einkassiert und das Erbe verlost. Bewerben kann sich jeder. Für Fans der klassenlosen Gesellschaft richtig super, für Silke eine Katastrophe. Wie wäre es, wenn Silke und Maude sich verbünden, das Jobcenter, in dem auch die Erb-Lose gesammelt werden, stürmen und Gabor eine Pistole auf die Brust setzen: Wenn er der einen Frau nicht die Grundsicherung erhöht und der anderen nicht ihr Erbe aushändigt, geht sein draußen geparkter schicker Jeep in Flammen auf. Das kann ja heiter werden. Wird es auch. Aber anders, als die zornigen Frauen und das Publikum in der Reithalle des Hans Otto Theaters es erwartet haben. Oft weiß man nicht recht, ob man lachen oder lieber weinen soll. Denn „Jeeps“, die abstruse Komödie von Nora Abdel-Maksoud, entpuppt sich als groteske Farce mit einem bitterbösen Blick in die Abgründe einer von Ungleichheit und Willkür geprägten Gesellschaft, in der das Privateigentum wie eine Heilige Monstranz vor sich her getragen und das Individuum zum Störfaktor wird. Die provokative und hirnrissige Idee eines zur Enteignungsmaschine gewordenen neuen Erbschaftsrechts bringt die sozialen Probleme und gesellschaftlichen Verwerfungen im digitalen Spätkapitalismus auf den satirisch zugespitzten und grell überzeichneten Punkt. Doch in jeder Banalität und in jeder Blödheit liegen ein wahrer Kern und ein richtiger Gedanke. Regisseur Max Claessen und seine Bühnenbildnerin Ilka Meier wissen das zu nutzen und bringen die sozialen Missstände zum Tanzen. Oder besser: zum Rotieren. Ein Bühnentechniker ist im Dauereinsatz und dreht die kleine Bühnenscheibe ohne Unterlass. Wer nicht schnell genug aufspringt, hat schon verloren und wird aussortiert vom Spielplatz der Eitelkeiten. Egal, in welches der vier auf der Drehscheibe platzierten Mini-Zimmerchen wir gerade blicken und wo sich gerade Gabor um Kopf und Kragen redet und die wütenden Frauen ihre Rechte einfordern: Immer hockt irgendwo Janni Struzyk und bläst in ihre dicke Tuba. Herrlich schräg und seltsam witzig. Weniger komisch ist naturgemäß, was Sachbearbeiter Armin (Jan-Kaare Koppe), der wie ein Dompteur über dem ganzen Trubel wacht und die mal vor mal zurück spulende Handlung erzählend begleitet und grinsend kommentiert, widerfahren ist. Armin, ein Gutmensch alter Schule, konnte das Elend der Bittsteller nicht länger ertragen und hat viele Arbeitslose mit seinem Ersparten alimentiert. Seine Frau fand das gar nicht witzig und hat die Scheidung eingereicht. Doch der kauzige Robin Hood des Jobcenters kann nicht anders: er führt seine Arbeit zum Einsturz des Kapitalismus beharrlich weiter und sucht neue Verbündete, um den Reichen zu nehmen, was den Armen zusteht. Krieg den Palästen, Friede den Hütten! Doch wer kommt als Mitstreiter infrage? Die überkandidelte Silke, die ein flammendes Plädoyer für Gerechtigkeit hält, aber dann doch nichts abgeben mag von ihrem fetten Erbe? Oder die verhuschte Maude, die wild mit der Pistole herum fuchtelt, sich mit ein paar Euro mehr vom Staat abspeisen lässt und bestimmt nie wieder einen Roman zu Papier bringt? Und wie steht es mit Gabor, dessen bürokratische Fassade in diesem Tohuwabohu von Minute zu Minute langsam zerbröselt? Verbirgt sich hinter seiner Leitz-Ordner-Gewissenhaftigkeit („Ich liebe die Haptik des Beamten-Alltags: knicken, lochen, abheften“) etwa doch ein mitleidiges Herz? Dann wäre da ja noch die Sache mit seinem Geländewagen: Sprengen die von allen guten Geistern verlassenen Furien den Jeep wirklich in die Luft? Fragen über Fragen. Die Antworten, die in dieser mit überraschenden Wendungen kurios verdrehten Komödie der Irrungen und Wirkungen gegeben werden, sind oft nicht wirklich lustig. Aber wer kann schon lachen über die Arroganz der Reichen und die Armut des Prekariats?“ (Märkische Allgemeine Zeitung)
„Wenn Reichtum per Los verteilt würde: Die Komödie „Jeeps“ im Hans Otto Theater umkreist das Thema Erben Mit der Komödie von Nora Abdel-Maksoud läutet das Hans Otto Theater die Spielzeit in der Nebenspielstätte ein. Es geht um die Schneise, die zufällig verteilter Reichtum in die Gesellschaft reißt. Den kleinen Glitzerschuh sieht man erst ganz zum Schluss. Lag er schon unter der Bank im Wartesaal des Jobcenters, als die Drehbühne zum ersten Mal in Bewegung geraten war? Das rotierende Bühnenbild von Ilka Meier zeigt drei Alltagsräume: Warteraum, Wohnzimmer, Büro. Statist Gernot Axel Birgit Griesbach zieht wie ein Lastenesel seine Runden, schiebt immer den Raum in Richtung Zuschauersaal, um den es gerade geht. Und der Schuh? Wird noch eine Rolle spielen.Nach der Eröffnung im Großen Haus am Freitag war dies der Eröffnungsnachschlag des Hans Otto Theaters in der Nebenspielstätte Reithalle. Gezeigt wurde „Jeeps“ von Nora Abdel-Maksoud, die in Potsdam Schauspiel studiert hat und vor 15 Jahren am gleichen Ort als Miranda zu sehen war, in Shakespeares „Sturm“. Seitdem hat sie nicht nur am Ballhaus Naunynstraße, Gorki-Theater, in Halle und Münchner inszeniert, sondern auch einige sehr erfolgreiche Stücke geschrieben. „Jeeps“ ist Teil zwei einer Trilogie zum Thema Klasse. Uraufgeführt wurde es 2021 in München, als Auftragswerk für die Kammerspiele. Aber auch nach Potsdam passt „Jeeps“ bestens. Gerade nach Potsdam. Dafür hätte es nicht mal die vielen Anspielungen (vom Kennzeichen bis zum „neuen Zeit für Brot in der Innenstadt“) gebraucht. Es geht um die Schneise, die zufällig verteilter Reichtum in die Gesellschaft reißt. Es geht ums Erben. In „Jeeps“ heißt es: „Die Eierstocklotterie“. Statt nur den zu Stückbeginn referierten Status quo („Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm. Gleichzeitig werden 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt“) durch die Komödienmangel zu drehen, geht die Fiktion von „Jeeps“ einen Schritt weiter. Auf die Erbproblematik hat die Regierung (namentlich Lindner) mit radikalen Maßnahmen reagiert: Die deutsche Erbmasse wird neu verteilt. Per Los. Umzusetzen vom Personal in den Jobcentern.Auftritt Gabor (Philipp Mauritz). Gabor ist, was ihn zum perfekten Beamten macht: gesichtsblind. „Er arbeitet im wahrsten Sinne des Wortes ohne Ansehen der Person“, sagt Armin (Jon-Kaare Koppe), der gerne Gabors Chef wäre. Beide sind Rädchen im Amtsgetriebe, Armin als der Menschelnde, Gabor als „der Unbestechliche“. Er ist auch der mit dem titelgebenden Jeep. Zwölf Jahre hat er darauf gespart, von allen belächelt.Am offensivsten von Maude (Katja Zinsmeister) und Silke (Laura Maria Hänsel). Beide verschwestern sich mithilfe einer Waffe gegen „das Amt“, obwohl sie nicht viel gemeinsam haben. Die eine Hartz-IV-Empfängerin, die einen höheren Regelsatz einfordern will (acht Euro). Die andere eine „Enterbte“, deren Vater gestorben ist und die ihr „Los“ zurückverlangt: Es gehe um ein Fotoalbum, sagt sie. Nicht ganz, stellt sich heraus: auch zwei Eigentumswohnungen und ein Bootshaus gehören dazu. Als Maude das erfährt, klappt ihr die Kinnlade runter.Philipp Mauritz, der zunächst am klischeehaftesten wirkt, hat hier eine große Stunde. Die zärtliche Zuneigung zu Ordner und Anspitzer nimmt man ihm ab, die ehrliche Liebe zum Geländewagen auch. Er ist es, der irgendwann der in die Enge getriebenen Erbin Silke auf ihren Einwurf, man könne doch diese Verteilungsdebatte nicht privatisieren, antwortet: Warum? Das ist eine der Fragen, die „Jeeps“ einem mitgibt.Katja Zinsmeisters Hartz-IV-Empfängerin ist wohltuend widerborstig und autonom, und nicht nur wegen Wortfindungsstörungen („Warum, warum. Warum ist der gelbe, lange Apfel krumm?“) immer wieder für Lacher gut. Auch Jon-Kaare Koppe gibt Gabors scheinbar so humanem Kollegen wohldosierte Boshaftigkeiten mit: Hartz-IV-Empänger nennt der Sympath intern Opferwürste, seinen Job macht er für „die Möglichkeit, Ihren Antrag abzulehnen.“ Diese Balance aus Mitgefühl und mildem Ekel macht funktionierende Komödie aus. Silke, die Erbin, schert da etwas aus: in blauem Glitzerkleid, mit einem Startup für „Laptops in Lederhosen“ hätte sie ein paar mehr Sympathiepunkte gebraucht, um das Komödienkarussel im Gleichgewicht zu halten. Sympathie für die bayerische Gründerin, die Papas Geld braucht, um über die Runden zu kommen, ist aber weder im Text noch von Max Claessens Regie wirklich vorgesehen. So bleibt „Jeeps“ eine Komödie, die trotz aller Aktualität und großartig stoischer Livemusik von Janni Struzyk an der Tuba etwas aus dem Takt geraten ist. Und hinten raus auch etwas überfrachtet: Zur Neuerung der Regierung gehört nämlich nicht nur das Losverfahren, sondern auch, dass arbeitssuchende Eltern nur noch ihre Kinder ins Jobcenter schicken dürfen. Aus Platzgründen. So kommt es zur Katastrophe, von der auf der Bühne am Ende nur er zeugt, der Glitzerschuh.“(Tagesspiegel)