R: Max Claessen B&K: Ilka Meier K:Karl Waeber V: Andreas Klein D: Barbara Bily und Cornelia von Schwerin E: Katharina Behrens, Marlene Goksch, Ulrike Knobloch, Joachim Förster, Daniel Warland, Christoph Rinke, Wilhelm Schlotterer, F.P. Dettmann, Bo Salle.
Felicia Zellers „Wirtschaftsdramatik“ trifft seit einiger Zeit landauf, landab einen Nerv. Aber gerade weil sie weiß, wie Märkte ticken, dürfte ihr klar sein, dass ein erfolgreich etabliertes Label Segen und Fluch zugleich ist. Schließlich lebt der Kapitalismus von Expansion und fordert unnachgiebig regelmäßig das nächste heiße Ding, das idealerweise den Markenkern nicht aufweichen darf und trotzdem Neues bieten muss. Um es vorweg zu nehmen: „Der Geldkomplex“, den Max Claessen gestern am Theater Münster inszeniert hat, erfüllt diese Anforderungen mustergültig. […] Immer wieder beginnen die Figuren Sätze, brechen ab und beginnen erneut, ohne je – im wahrsten Wortsinn – zum Punkt zu kommen. […] Zeller selbst hat diese Verfremdungstechnik im Gespräch jüngst mit einer Schallplatte verglichen, die hängen geblieben ist. Claessen setzt das nicht nur ausgesprochen texttreu um, sondern findet für die Figuren ergänzend eine Körpersprache, die mit Zellers Dialogen korrespondiert. […] Indem Claessen das spielerische Potential von Zellers Text zum Ausgangspunkt seiner Inszenierung macht, werden die Zeichenhaftigkeit und Virtualität von Geld, Schulden und der Umgang damit deutlich. (Kai Bremer, nachtkritik, 15. September 2021)
Die Idee ist verblüffend gut: Sich als zahlungsunfähiger und überschuldeter Zeitgenosse einen Geldkomplex attestieren zu lassen, zu hoffen, dass die Krankenkasse für die Therapie im feinen Sanatorium aufkommen wird – und derweil auf ein Erbe zu spekulieren, das die Schein-Ehe mit einem adeligen Schnösel einbringen soll. Genau das macht Übersetzerin Fell von Beinahe-Enden, die festgestellt hat »Man braucht nicht besonders‘ viel Geld, um an Geld zu denken.«
Die Idee stammt aus einem Roman der Thomas-Mann-Zeitgenossin Franziska zu Reventlow. Felicia Zeller, die sich selbst „Wirtschaftsdramatikerin“ nennt, hat daraus nun ein Stück für das Theater Münster geschaffen, gefördert durch das NRW-Projekt „Neue Wege“. In Münsters Kleinem Haus ist es als knapp zweistündiger, schrill-unterhaltsamer Abend zu erleben, bei dem Kapital, Konsum und Psychotherapie ihr Fett abbekommen.
Regisseur Max Claessen nimmt Zellers Szenen-Kaleidoskop zum Anlass, weniger auf eine klare Handlungsstruktur zu setzen (die natürlich immer durchscheint) als auf ein grelles Typen-Kabinett, das bei Figuren wie Psychotherapeut Doktor Flachmeier oder dem quirligen Gründer Henry an Comic- und Stummfilm-Ästhetik erinnert. […] Im Mittelpunkt steht Katharina Behrens als Feli. […] Sie dreht bewundernswert die Klage-und Rechfertigungstiraden ihrer Figur durch die sprachlichen Endlosschleifen, die Felicia Zeller mit ihren unvollständigen Sätzen vorgibt. Auf erstaunliche Weise lässt die Inszenierung bei Heldin Feli die Therapie anschlagen: […] In der von Regisseur Max Claessen so geliebten Video-Einspielung (Andreas Klein) erscheint die ganze Gesellschaft in himmlisch-unschuldigem Weiß wie geläutert […] Ein Traum vom Glück? Den hatte zumindest Autorin Felicia Zeller, die gemeinsam mit dem Ensemble anhaltenden Applaus kassieren konnte. (Harald Suerland, WN, 17. September 2021)